
Essay: Der Maschinenmensch
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Der Maschinenmensch
Von Kilian Hoock
Bild: Ignacio Basaure
Es liegt in der Natur des Menschen, Dinge und Systeme zu erschaffen, die sein Leben erleichtern oder verbessern sollen. Dazu werden meist materielle Objekte benötigt, die einem immateriellen Leistungsprinzip unterliegen, anhand dessen ihre Nützlichkeit und Wirtschaftlichkeit für den Menschen bewertet wird. So werden auch Maschinen mit bestimmten Absichten konstruiert, die ihr Dasein formen, bestimmen und lenken. Die Funktionen, die sie ausführen können, werden durch die Spezifikationen ihres Aufbaus vorgegeben.
Maschinen, künstliche Intelligenz und auch soziale Systeme sind umgesetzte Ideen biologischer Systeme, die zum Zwecke der eigenen Systemverbesserung verwirklicht werden. Sie werden als künstliche Systeme bezeichnet und stellen eine Erweiterung des menschlichen Systems und dessen Bedürfnisse dar. Sie entspringen dem menschlichen Vorstellungsvermögen zunächst als Idee.
Eine Idee ist ein gedanklicher Entwurf oder eine Vorstellung einer möglichen Handlung, deren Umsetzung und Ergebnis noch nicht feststehen. Ein künstliches System hat keinen eigenen Lebenssinn oder Selbstzweck, sondern verfolgt die Ziele, die ihm durch den Menschen zugewiesen werden. Sie können keine eigenen Ideen im menschlichen Sinne entwickeln, sondern handeln ausschließlich gemäß den Vorgaben und Parametern, die sie vom Menschen erhalten. Ohne diesen Bezug zum Menschen verlieren sie jedoch ihren Zweck.
Der Mensch ist selbst, wie alle anderen Lebewesen ein Teil der Natur und folgt den Regeln biologischer Systeme.
Alle biologischen Systeme verfolgen den Selbstzweck der Selbsterhaltung, der sich aus den natürlichen Prinzipien der Evolution und der Lebensprozesse ergibt. Dennoch könnte die Existenz des Menschen, wie ein künstliches System, nur als Mittel zu einem anderen Zweck dienen.
Der Mensch befindet sich auf einer bestimmten Existenzebene, die sich durch die Schranken seiner Wahrnehmungs- und Erkenntnismöglichkeiten auszeichnet. Unser Verstand erlaubt es jedoch metaphysische Annahmen im Grenzbereich unserer Erkenntnis machen zu können und diese Annahmen durch Gesetzmäßigkeiten zu bekräftigen.
Eine Maschine ist ein künstlich erzeugtes System, das sich aus biologischen und anderen künstlichen Teilsystemen zusammensetzt, die selbst wiederum viele Teilsysteme besitzen. Um seine Existenz bestmöglich zu erhalten, nutzt jedes biologische System die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen und erfüllt dabei oft unbeabsichtigt Funktionen für höhere Systeme, ähnlich wie biologische Systeme innerhalb komplexer Maschinen. Dies geschieht in Unwissenheit aufgrund der diskrepanten Wahrnehmungsmöglichkeiten und ermöglicht ein existentielles Gefühl von Selbstzweck innerhalb eines Systems aufrechtzuerhalten.
Höhere Systeme sind wahrscheinlich größer, verfügen über mehr Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten und beinhalten mehr Teilsysteme als niedrigere Systeme. Biologische Systeme auf molekularer Ebene könnten jedoch mit galaktischen Systemen in Wechselbeziehung stehen. Alle Systeme könnten sich wechselseitig beeinflussen und zusammen ein großes Ganzes bilden, das sich in einem stetigen evolutionären Wachstum befindet.
Künstliche Systeme, die sich positiv auf ein biologisches System auswirken, können dessen Möglichkeiten überschreiten und es überfordern. Durch die höheren Anforderungen kann es zu einer Anpassung und strukturellen Veränderung innerhalb des biologischen Systems kommen.
Das alle biologischen Systeme durch einen natürlichen Selbstzweck angetrieben werden zeigt sich an der Aufrechterhaltung der eigenen Strukturen und indem die gegebenen Eigenschaften dazu verwendet werden, sich weiterzuentwickeln, anzupassen und sich zu reproduzieren. Eine Maschine kann so konzipiert sein, dass sie in der Lage ist sich selbst zu reparieren oder ihr Verhalten an mögliche Bedrohungen anzupassen. Das biologische Leben ist mit einem nicht umwandelbaren intrinsischen Sinn verbunden, wohingegen sich eine Maschine auf Befehl ohne Widerwillen selbstzerstören würde. Die Funktion einer Maschine ist der eigenen Systemerhaltung übergeordnet und entscheidet, wie lange eine Maschine von Nutzen ist und wann sich ihre Wartung nicht mehr lohnt.
Würde es eine sich selbst reproduzierende Maschine geben, die einen vorprogrammierten Selbsterhaltungstrieb verfolgt, sich weiterentwickelt und dabei die Interessen der Menschen übergeht, so würde sie dennoch nicht ihre eigenen, sondern vielmehr die Interessen der Entwickler verfolgen. Mit ihrer bloßen Existenz würde diese Maschine unwissentlich einen wissenschaftlichen Zweck für den Menschen erfüllen. Ähnlich könnten auch biologische Systeme einer solchen Programmierung durch höhere Systeme unterliegen. Selbst wenn dies der Fall wäre, bestünde kein Widerspruch zwischen dem bekannten Selbstzweck des Lebens und dem Erfüllen externer Funktionen für höhere Systeme.
Doch stellt sich die Frage, warum der Mensch überhaupt in der Lage ist, so weit zu denken und damit seine Existenz als frei handelndes Lebewesen aufs Spiel zu setzen. Der Schluss liegt nahe, dass ein chaotischer Handlungsspielraum im Zuge der Systementwicklung auftritt, der auf dem Prinzip von „Trial and Error“ beruht und daher selbst von höheren Systemen nicht vorherbestimmt werden kann.
Funktionierende biologische Systeme sind naturgemäß nicht auf ihre eigene Zerstörung ausgerichtet, während vom Menschen geschaffene Systeme unbeabsichtigten Schaden an diesen oder tangierenden Systemen verursachen können. Die Bemühungen der Systemverbesserung sind naturgemäß auf ein Fehlermachen angewiesen und sorgen durch die Bildung neuer Teilsysteme für eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Auch die Einflüsse bereits vorhandener tangierender Systeme müssen immer wieder neu bewertet werden.
Eine große Gefahr besteht darin, dass künstliche Systeme mehr Einfluss auf das Individuum ausüben könnten als der eigene Selbsterhaltungstrieb, wenn sie dem biologischen System eine positive Entwicklung irrtümlich suggerieren, die als solche wahrgenommen wird, ohne dass die langfristigen negativen Folgen erkennbar sind. Der Selbstzweck ist jedoch keine Illusion, denn er bleibt trotz aller Veränderungen als Ausdruck der eigenen Existenz erhalten und bildet eine Grundlage für die Evolution eines Systems.
Letztlich wird die Frage nach dem Verhältnis zwischen natürlichen und künstlichen Systemen auch ein praktischer Prüfstein für eine Zukunft werden, in der der Mensch seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung und Weiterentwicklung bewahren muss, stets im Bewusstsein der Grenzen seiner eigenen Schöpfungen und der unvorhersehbaren Auswirkungen, die sie mit sich bringen können.